Im Jahr 2013 wird der Landkreis Helmstedt 180 Jahre alt. Und zwar genau am 1.1.2013, denn am 1.1.1833 nahm die damalige Kreisdirektion ihren Dienst auf.
Das ist doch wirklich ein Grund zum Feiern. 180 Jahre ist eine lange Zeit.
Gerade aktuell nach den Landtagswahlen in Niedersachsen stellt sich erneut die Frage, wie mit diesen historisch gesehen langen Verwaltungstraditionen verfahren werden soll?! Gerade die Ambitionierten, also jene, die sich darüber definieren, dass Althergebrachtes prinzipiell schlecht ist und in Abrede gestellt werden muss (vielleicht auch, um von den eigenen fachlichen Unzulänglichkeiten abzulenken), sind anscheinend sehr darauf aus, sich Denkmäler zu setzen als ReformatorInnen und SaniererInnen oder sogar HeilsbringerInnen. Wer mag es ihnen verkennen, wo die meisten sich doch in ihrer Arbeit als zum Wohle Aller Dienende definieren!?!
Was passiert nicht alles in 180 Jahren mit sozialen und politischen sowie wirtschaftlichen Systemen?!? Ich möchte das hier mit einem kurzen Abriss über den Landkreis Helmstedt etwas präszisieren, vielleicht auch, weil ich sehe, dass es vielen BewohnerInnen im Landkreis Helmstedt scheinbar gar nicht klar wird, dass eine funktionierende Verwaltung, die auf der grundgesetzlichen Basis des Art. 28 beruht, gerade auch einen besonderen Schutz durch die Bevölkerung geniesst, indem sie respektiert, verteidigt und mit Leben (Teilnahme über ehrenamtliche und hauptamtliche Funktionsträgerschaften) gefüllt werden muss. Denn sie ist Bestandteil eines der höchsten verfassungsrechtlichen Güter in Deutschland, der kommunalen Selbstverwaltung.
Betrachten wir das einmal genauer, so wurde Deutschland in dieser Zeitspanne von 180 Jahren zu dem, was es heute ist. Ok, werden sie sagen, welch tiefgreifende Erkenntnis, dass das Heute von dem Gestern und Vorgestern abhängig ist! Was meinst Du denn nun genau?! Nun, in diesem Zeitraum entstand eines der von einer klaren Mehrheit der Deutschen klar befürworteten politisch-administrativen Systeme – das der kommunalen Selbstverwaltung.
Dieser nach Art. 28 Grundgesetz geschützte Rechtstitel ist denn auch der Kern der politischen Debatte um Fusionen, Regionen und deren Etablierung – schlicht der Zukunft der verfassungsrechtlich geschützten kommunalen Selbstverwaltung. Im Grundgesetz Art. 28 heisst es dazu:
(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.
(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.
(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.
Es geht Autor also insbesondere um die gesellschaftliche Diskussion im Braunschweiger Land, die um die Zukunft der Region geführt wird. Seit vielen Jahren schon wird hier gepokert, geblufft und agitiert, was das Zeug hält. Die Argumente sind für Pro als auch Contra leicht dargestellt.
Pro: Alles muss einheitlicher werden. Nichts soll sich ändern.
Contra: Nichts muss einheitlicher werden, weil es ja schon qua Gesetz vereinheitlicht ist. Alles muss sich ändern.
Auf einem anderen Blogbereich habe ich die Alternativen der Fusion bereits dargestellt, weshalb es mir hier jetzt wichtig ist, einen kurzen historischen Rückblick auf den Landkreis Helmstedt, in dem ich meine Heimat gefunden habe, zu wagen.
Also, schauen wir uns einmal etwas genauer an, was in dieser Zeitspanne mit dem Landkreis Helmstedt passierte.
Als Quelle der folgenden Angaben möchte ich Ihnen das Kreisbuch 2008 des Landkreises Helmstedt ans Herz legen, das bei der Kreisverwaltung oder im Buchhandel erworben werden kann: ISBN 978-3-937733-41-8
Die erste Verwaltungseinheit, die der heutigen ähnlich war, ist die der Kreisdirektion, die 1832 gegründet wurden. Diese Kreise sind staatliche Verwaltungsbezirke, die als verlängerte Arme des Ministeriums dessen Wesungsbefugnis unterstellt waren. Erst 1848 kam es dann im Zuge der deutschen Freiheitsbewegungen zur Trennung der Stadt- und Amtsgerichte von der Verwaltung, die zuvor noch eine Einheit darstellten. Allerdings gab es noch das Dreoklassenwahlrecht, das die Zahl der Stimmen von den Vermögensverhältnissen resp. dem steuerlichen Aufkommen abhängig machte und das erst 1918 abgeschafft wurde. Vor allem der Strassen- und Wegebau sowie die Einrichtung eines Schienennetzes brachte es mit sich, dass 1871 sog. Kreiskommunalverbände gegründet wurden, die in Selbstverwaltung diese Verkehrsnetze dann einrichteten. Mit dem Ende der Monarchie in Deutschland, also nach dem ersten Weltkrieg 1918, wurde das Dreiklassenwahlrecht abgeschafft und BürgerInnen ab 20 Jahren wurden wahlberechtigt. Ab 1924 gab es dann einen Kreisgemeindeverband, der dem heutigen Kreistag entspricht. Die Einhaltung der Gesetze wurde von der Kreisdirektion ausgeübt, was der ehemaligen Funktion des Oberkreisdirektors und heutigen Landrats entspricht. Alle Beschlüsse und Entscheidungen des Kreistages und Kreisauschusses konnten verwaltungsgerichtlich angefochten werden.
Mit der Nazidiktatur wurde dann 1933 mit dem Ermächtigungsgesetz die kommunale Selbstverwaltung wieder aufgehoben und alle gesetzgebende und ausführende Gewalt ging auf die Reichsregierung über. Kreisdirektorstellen konnten nur über die NS-Partei besetzt werden. Vorbei war es mit der kommunalen Selbstverwaltung.
Nach dem zweiten Weltkrieg gehörte der Landkreis Helmstedt dann zur britischen Besatzungszone. Sein östlicher Ausleger des Amtsbeziorks Calvörde wurde der sovietischen Besatzungszone zugeschlagen. 1946 wurde dann durch die britische Besatzungs- und Militärregierung das Land Niedersachsen gegründet. Diese führte auch mit der Gemeindeordnung wieder die Trennung von der kommunal beschliessenden Vertretung und der BEschlüsse ausführenden Verwaltung ein. 1948 traten die ersten frei und geheim gewählten Vertreter ihre Amtsfunktionen (z.B. als Oberkreisdirektoren und Stadt- und Gemeindedirektoren) an.
Während der Gebietsreformen 1961/62 und erst recht 1972 wurden große Teile des Landkreises Helmstedt der Stadt Wolfsburg zugeteilt, um deren durch die ansässige Autoindustrie zunehmendes Wachstum mit entsprechenden Flächenpotenzialen zu versehen. 1974 wuden der Landkreis Braunschweig aufgelöst und die Einheitsgemeinde Lehre wurde zum Landkreisgebiet dazu geschlagen. Dasselbe passierte mit einigen Gemeinden aus dem Landkreis Gifhorn.
1996 wurde durch die Reform des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts das kommunale Spitzenamt in einer Funktion zusammengefasst. Im Landkreis Helmstedt wurde die Reform 2003 umgesetzt. Als erster Landrat wurde der zuvor als Oberkreisdirektor tätige Gerhard Kilian (CDU) für die Dauer von acht Jahren direkt vom Volk gewählt. 2011 wurde dann für weitere acht Jahre amtierende Landrat Mathias Wunderling-Weilbier (SPD) gewählt.
Und wenn sich die Dinge so weiter entwickeln, wie es eben jener 2. direkt gewählte Landrat avisiert, denn wird es keinen weiteren Landrat mehr geben, weil es keinen eigenständigen, kommunal selbstverwalteten Landkreis Helmstedt mehr geben wird.
Wieso, weshalb, warum der amtierende Landrat diese Aufgabe der Selbstverwaltung und damit den eigentlichen verfassungsrechtlichen Auftrag in Richtung Auflösung betreibt, dazu möge jeder sich selbst ein Bild machen. Als Argumentation für eine Auflösung des Landkreises Helmstedt führen er und einige anderen Stadt- und Gemeindebürgermeister die finanziellen Engpässe und die kommunale Verschuldung ins Feld. Das diese durch aussen bedingte Faktoren entstanden ist, gegen die genau dieser Personenkreis und die dazugehörigen Stadt- Gemeindeparlamente sowie der Kreistag verwaltungsgerichtlich vorgehen könnten, wird leider kaum kommuniziert.
Folglich endet aller Voraussicht nach nach 180 Jahren die Geschichte des Landkreises Helmstedt und leider damit dann auch dieses lang entwickelte freiheitliche und verfassungsrechtliche gesicherte Recht der kommunalen Selbstverwaltung. Ich persönlich finde das sehr schade und betrachte es deshalb auch als Verlust meiner Bürgerrechte, die in einem überschaubaren und relativ leicht nachvollziehbaren Größenordnungsbereich eines Landkreises Helmstedt und seiner kreisangehörigen Städte und Gemeinden zur Rechtssicherheit und damit einhergehend Lebensqualität gehören.
Wenn man sich die o.a. kommunale Selbstverwaltung gesondert betrachtet – und das ist sie im Kontext der Fusions- und Regionsdebatten alle male wert – dann fällt auf, dass sie kein typisch deutsches Produkt darstellt, sondern uns durch französische und englische Einflussnahmen gegeben wurde. Insofern ist es vielleicht auch verständlich, dass gerade nun Deutsche selbst, dieses Gut wieder obsolet stellen wollen und damit historisch gesehen geradezu anachronistisch agieren. Man giert anscheinend wieder nach den großen Führungsstrukturen, den Führer- und dazugehörigen Führungsprinzipien, denn wie anders ist es zu erklären, dass verfassungsrechtlich verankerte und vom Volk freigewählte Führungspersonen in den Administrativstrukturen und den sie kontrollierenden Parlementen eben jenen Art. 28 des Grundgesetzes anscheinend nicht mehr kennen und das, obwohl sie darauf einen Eid geschworen haben. Einige sprechen vom großen Wurf und meinen damit einen Zusammenschluss nach dem Vorbild der Region Hannover, die aus rein wissenschaftlicher Betrachtung heraus nicht als Vorbild fungieren könnte. Und genau diese Argumentationslinie rückst sogar ganz offiziell von der sogenannten Freiwilligkeit von Fusionsvorgängen und Regionsbildungen ab und stellt das Führerprinzip wieder in den Vordergrund. Andere wiederum wollen Uralt-SPD-Knstrukte wie den Zwckverband Großraum Braunschweig in die Pflicht nehmen, der seit Jahren die Zwangsmitglieder Millionen kostet und ausser schönen Plangutachten und Planungen vom grünen Tisch aus, noch nicht einmal eine seiner Kernaufgaben (Nahverkehrsverbund) so oredentlich bewältigen konnte, dass eine wirklich für die BügerInnen spür- und nutzbarer Verkehrsverbund entstanden wäre. Ixch persönlich betrachte die gesamte Diskussion als Farce, da ich die verwegene Meinung vertrete, dass kommunale Gebietskörperschaften schon mindestens seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts freiwillig und im Sinne des effizienten Einsatzes von Steuermitteln und damit auch im Sinne der Generierung neuer Steuermittelaufkommen durch gewerblich-industrielle Ansiedlung und Wohnbauprogramme freiwillig kooperieren können. Allerdings wird das völlig aus der Diskussion ausgeblendet. In der Schule würde man wahrscheinlich zu solchen diletantischen Ausarbeitungen sagen: Thema knapp verfehlt. Ausreichend!